Wenn du eine Entscheidung getroffen hast, töte die Alternativen.
© peter e. schumacher



"Watch out!"


Es war nicht mehr ein Warnruf, nein, der Schrei meiner Mutter gellte in purer Verzweiflung in meinen Ohren. Ich bin damals 5 gewesen und noch heute kann ich mich sehr genau daran erinnern wie ein Tanklaster, groß, laut und ungemein tödlich auf mich zuraste. Ich glaubte schon den Schmerz zu spüren, der davon zeugte, das man mich , wie Koyote in einem seiner Comics, von der Front des Lasters würde kratzen müssen. Erst dann registrierte ich das erleichterte Schluchzen meiner Mutter, welches in dem Geräusch der quietschenden Bremsen unterging. Sie hielt mich so fest , das ich glaubte ersticken zu müssen und der Rest des Tages verschwimmt in meiner Erinnerung in hektischer Dunkelheit, bestehend aus Polizei , vielen Fragen und einer sehr großen Portion Eis. Ich habe erst Jahre später wirklich verstanden , das dieser Tanklaster erst bremmste, nachdem mich meine Mutter in den Armen hielt.
Aber ich lebe trotzdem.

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Es gibt Menschen, die behaupten, dass solch ein Nah-Tod-Erlebnis läuternd ist und das weitere Leben entscheidend beeinflusst.
Ich bitte sie, ich war 5 und tat was alle Kinder in diesem Alter dann tun würden. Nach ausreichend liebevoller Umsorgung durch meine Mutter, Therapeuten und Psychopharmaka hatte ich diesen Unfall erfolgreich verdrängt und, mit Ausnahme einiger Alpträume, die nächsten Jahre nicht wieder daran gedacht . Alles was davon inzwischen noch übrig geblieben ist , ist eine latente Abneigung gegen die alljährlich weihnachtlichen Coca-Cola-Trucks, die einem weltweit auf den Sender gehen, aber ich würde nicht so weit gehen zu behaupten, das dies mein Leben nun nachhaltig beeinflusst.

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Habe ich je etwas besessen, oder
bin ich besessen davon, etwas zu haben?

© Oliver Buss

Mit mehr oder minder messbarem Ruhm schlug ich mich durch die Schule. Bitte unterbrechen Sie mich nicht, ich habe Ihnen schließlich eine Erklärung versprochen und die werden Sie nun auch erhalten, dazu müssen Sie mir allerdings wirklich zuhören. Wie ich bereits sagte, die schulische Ausbildung war genauso wie der Rest von mir unnennenswerter Durchschnitt. Ebenso wie jedes andere Kind gab ich mir nebenbei die größte Mühe meiner Mutter, sie möge es mir verzeihen, das Leben schwer zu machen. Schwer genug, als dass ich auf Grund unserer Differenzen beschloss mit 13 die große Flatter zu machen. Auch das ist nicht wirklich etwas besonderes, soweit ich weiß gibt es sogar Statistiken, die belegen dass jeder dritte Jugendliche dieses Landes im Teenageralter daran denkt sich von seiner Familie abzusetzen und jeder vierte es tatsächlich versucht. Nun gut, ich hätte den Wagen meines meist gehassten Lehrers dafür wohl nicht kurzschließen sollen. Aber ich wollte nicht laufen oder trampen, ich hatte und habe immerhin vor noch etwas zu leben. Mit der Tankfüllung dieses Wagens kam ich tatsächlich bist in den nächsten Bundestaat, doch als diese sich dem Ende zuneigte begannen meine Probleme. Im nachhinein ist mir klar, das früher oder später die Cops auftauchen mussten, aber wenn man 13 ist , aussieht wie 16 und fährt wie 21, oder das zumindest glaubt, dann kommt Blaulicht von hinten nicht nur überraschend, es treibt einen auch dazu aus Reflex erst einmal mehr Gas zu geben. Immerhin war das ja nicht mein Wagen, nicht wahr ?

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Es gibt in manchen Staaten die Angewohnheit schweigsame und verstockte Ausreißer durch eine besondere Schockbehandlung zum Reden zu bringen. Damals wurde mir eben diese Behandlung zuteil, da ich mich standhaft weigerte auch nur den kleinsten Hinweiß zu meiner Identität von mir zu geben. Ich sagte nicht ein einziges Wort. Nachdem die Überprüfung meiner Fingerandrücke nicht weiterhalf und sie auch keine Vermisstenmeldungen aufzuweisen hatten, die auf mich hätten zutreffen können, wurde Phase 1 eingeleitet. Es beginnt damit, dass man stundenlang alleine in einer Sammelzelle sitzt, in der es nach Urin und Erbrochenem stinkt. In Hörreichweite unterhalten sich in der Zeit zwei alteingesessene Cops über die guten alten Zeiten und die schlimmen Zustände im Gefängnis, wo erst vor zwei Tagen ein Insasse mit einer Nagelpfeile abgestochen wurde, da Jener doch drauf bestand dass sein Hintern Jungfrau bleibt. Alles ganz nach dem Klischee der Hollywoodfilme, die ja ein Jugendlicher, wie ich es damals war, kennen sollte.

Doch anstatt endlich damit heraus zu rücken, wer ich nun bin und wie ich an den Wagen kam, schwieg ich, geschüttelt von den Angstphantasien die meine Umgebung in mir ausgelößt hatte. Dadurch gelangte ich in den Genuss von Phase 2 jener Therapie. Sie läutetete sich ein mit dem Gebrüll eines besoffenen Schlägers, der aus der Ausnüchterungszelle in die Sammelzelle verlegt wurde. Normalerweise hätte ein Cop in Sichtweite bleiben sollen, um abzuwarten wann ich heulend vor Angst Besserung geloben und endlich kooperativ sein würde. Wie gesagt, normalerweise. So war niemand da, der dem stinkbesoffenen Penner an meiner Seite hätte erklären können, das ich ihn anstarrte, weil ich dabei war vor Furcht zu sterben und nicht weil ich homosexuell war oder unbedingt Probleme mit ihm haben wollte. Seine stillschweigenden Argumente waren trotz seines Alkoholkonsums besser als die meinen und der Schmerz , als meine Nase unter seiner Faust dann schlussendlich brach schien mich zerreißen zu wollen.Bevor ich bewusstlos wurde, flackerte die Erinnerung an den Laster auf, dieser gut verdrängte Unfall und katapultierte mich so endgültig in gnädige Dunkelheit. Ich kam erst Stunden später wieder zu mir, doch statt eine Krankenhauslampe oder hämisch grinsenden Beamten zu sehen, nicht einmal der Schläger war zu riechen, nein, es strahlte mich meine Kinderzimmerlampe an , alt noch , aus der Zeit als ich Fan von Superman war. Meine Mutter schwieg sich darüber aus, sie sagte nicht wie ich Heim gekommen bin, ich wurde nicht einmal für den Diebstahl des Wagens bestraft.
Heute verstehe ich wie das passieren konnte.
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In den Jahren danach habe ich , wie soll ich sagen, Dinge gelernt, erlebt und überlebt die man sich mit 13 sehr schwer vorstellen kann. Oder schon zu oft im Kino gesehen hat. Wohl auch da ich knappe drei Jahre später schon wieder alleine unterwegs gewesen bin. Ich liebe meine Mutter, immer noch, aber ich ertrage sie einfach nicht. Immerhin habe ich es im zweiten Anlauf wirklich geschafft. Vom Tellerwäscher zum Millionär ist in dem Zusammenhang zwar definitiv übertrieben, aber.., es ist dasselbe Prinzip mit dem ich mir das, was ich heute besitze erarbeitet habe. Nunja, besaß. Wenn man 32 ist, sich wie 22 fühlt und als Globetrotter überall in der Welt zuhause ist, dann hat man das Wichtigste, die wirklich persönlichen Dinge immer bei sich und mögen sie auch so nichtig sein. Die Dinge die ihre Kollegen bei meiner Festnahme so leichtfertig durchsucht und zerstört haben. Sie mögen mir verzeihen, aber da man bisher mir nicht wirklich zugehört , oder dem geglaubt hat was ich gesagt habe, wage ich trotz meiner Ausführlichkeit zu bezweifeln, das Sie mir nun glauben.

Sie sind Polizeipsychologe, sie wissen genauso wie ich, dass ich seit zwei Jahren hier unschuldig einsitze, dass sie mich noch nicht wieder auf freien Fuß gesetzt haben liegt einzig und allein an der Tatsache, das sie nicht wissen wie ich an den Tatort gekommen bin. Es klingt lächerlich, aber in eben jenem Haus wo diese arme junge Frau so brutal ermordet worden ist, hat vor vier Jahren noch ein guter Bekannter von mir gewohnt. Ich erzähle dies nicht zum ersten Mal, aber ich weiß das auch eine erneute Prüfung nichts griffiges für sie ergeben wird. Genauso wenig wie die erneute Prüfung meiner Personalien mehr ergeben wird. Mein Name ist nicht Jean-Jaques de Raumond. Ich muss sie bitten mich nun zu entschuldigen, ich werde jetzt gehen. Ja gehen, wenn die Behörden keinen Weg finden, dann nehme ich den meinigen, das habe ich seit Jahren getan. Ich bin zum Frühstück in Paris eingeladen.
Leben sie wohl....

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Jede Definition ist eine Einschränkung.
© Bernhard Steiner