Visalia ist die Stadt in der Kevin Costner geboren wurde. Ich auch, auch wenn ich es immer noch nicht auf die große Leinwand geschafft habe, bilde ich mir doch ein, dass etwas dran sein muss an den Worten von meinen Eltern. Vielleicht hätte ich doch Anwalt werden sollen. Dass etwas „Besseres“ aus mir wird. Ich bin lange Zeit sehr stolz darauf gewesen in Visalia geboren zu sein. Stolz darauf, eine tolle Familie gehabt zu haben.


Ich bin froh gewesen, es meinen Eltern insoweit recht machen zu können, indem ich gute Noten heim brachte, auch wenn mein Vater dadurch auf die glorreiche Idee kam, noch einen zweiten Nebenjob anzunehmen. Warum? Na um meinem Bruder und mir ein Studium zu finanzieren. Schulbildung ist teuer. Ich denke in dem Moment fing es an schlechter zu werden. Wir hatten zwar immer noch das Haus, den Garten, Daniel hat sogar einen Hund bekommen. Nicht dass er jemals den Wunsch nach einem geäußert hätte. Aber gekriegt hat er ihn trotzdem.

Ich weiß, dass Daniel und ich anfangs echt unzertrennlich waren. Ich glaub er hat viel auf mich aufpassen müssen als ich noch jünger war, hat‘s wohl gern gemacht. Der gute Daniel, das kleine Genie, das Beste was meiner Familie passieren konnte. Ist doch schön dass sie so einen Sohn haben, den man mit 16 fortschicken kann nach San José. Er ist dort Computer Fachidiot geworden. Angestellt in einer Firma die ihn mehr liebt als seine Eltern. „Ich werde nicht Heim kommen können an den Feiertagen, die Firma braucht mich da dringend. Serverprobleme.“ Ist schon ok.
Das Geld liegt ja nicht auf der Straße.


Wenn ich ehrlich bin, habe ich es gehasst. Unser idyllisches Familienleben. Wo im Prinzip alles verplant gewesen ist. Mum hat es sich auch nicht nehmen lassen an den Abschlussfeierlichkeiten von Daniel teilzunehmen. Sie wenigstens. Dad musste arbeiten. Allerdings glaube ich sehr fest daran, dass bisher niemand Daniel verraten hat, dass unsere Mutter 3 Wochen zuvor erst ein Baby verloren hatte. Potentielle Schwester. Passte nicht in das Konzept meines Vaters. Daddy ist der Beste. „Wenn ich in der Lage sein will, auch dein Studium zu finanzieren, müssen wir eben Opfer bringen.“ Aber es gibt einen Unterschied zwischen >Opfern< und >Opfern<, ich glaube nicht daran, dass meine Familie diesen Unterschied wirklich verstanden hat oder überhaupt in der Lage wäre ihn zu verstehen.
Ich hab es gehasst, dieses Leben.

Just because I'm losing
Doesn't mean I'm lost
Doesn't mean I'll stop

Doesn't mean I didn't get
What I deserved
No better and no worse

I just got lost
Every door I ever tried was locked
Ohhh and I'm...
Just waiting 'til the shine wears off

You might be a big fish
In a little pond
Doesn't mean you've won
Cause along may come
A bigger one
(c) Coldplay, Lost



Name: Samuel Winchester

Alter: bald 24

Größe: 1,74 m

Wohnort: San Francisco

Eltern: lebend, wohnhaft Visalia

Geschwister: 1 Bruder, wohnhaft San José

Im Prinzip ist die gute Schulbildung an einer meiner prägendsten Entscheidungen in meinem Leben schuld. Ich weiß noch, wie damals einer meiner Lehrer mich ansah, lange und nachdenklich, ehe er meinte, es wäre schade einen so talentierten jungen Mann zu verlieren. Aber ein Anwalt würde nie aus mir werden. Er hatte recht, weder wollte, noch sollte ich Anwalt werden. Auch wenn ich schon damals kein Problem damit gehabt habe, zum Wohle anderer verprügelt zu werden. Wenn man für andere Eintritt und es falsch macht, oder einfach nicht die stärkeren Argumente hat, dann tun Überzeugungen manchmal doch sehr, sehr weh. Nichts für ungut.

Ich bin darauf gefasst gewesen, dass mein Vater seine wohleinstudierte Maskerade fallen lassen würde als ich ihm vor 3 Jahren meine Entscheidung mitteilte. Zwei Tage nach meinem 21ten Geburtstag. Ich war endlich volljährig, ich hatte genügend Geld gespart. Ich wollte aus dem was mein Vater verächtlich -Hobby- nannte, endlich Geld machen. In gewisser Weise habe ich das nun auch geschafft. Ohne Familie, ohne Daniel. Wir haben uns irgendwann zerstritten. Mittlerweile bin ich, nun ja, Juwelier? Ich denke schon, dass ich mich so nennen kann. Ich besitze einen kleinen Laden, sogar mit einem PC, das Internet liefert dankend die Filiale von McDonalds, nur zwei Geschäfte weiter in der Mall. Ich kann von dem, was ich mit meinen eigenen Händen erschaffe, sogar relativ gut leben. Ich habe keine Schulden, zahle die Miete für meine Zwei-Zimmer-Wohnklo-Wohnung. Mein Refugium. Ich lebe endlich so wie ich das möchte, meinen verlachten Traum. Er wirft nicht viel ab. Ich bin eben nicht so spitze wie mein Bruder, so einzigartig genial. Es funktioniert nur, weil ich über das Internet ebenso verkaufe. Die Mall, in der ich meinen kleinen Laden habe, wirkt an zu vielen Tagen wie ausgestorben. Dennoch möchte ich nicht umziehen. Ich will trotz allem in Reichweite bleiben, obwohl ich mir manchmal nicht mehr sicher bin, für wen eigentlich.

Jetzt, wo ich mein Leben mag, fange ich an den Postboten zu hassen.